Die Geschichte der Menschheit ist eng mit “Mutter Erde”, dem Vorhandensein fruchtbaren Bodens verknüpft. Bodenverlust ist beinahe zwingend mit Verlust menschlicher Lebensgrundlage verbunden.
Mesopotamien, das Zwischenstromland – die Wiege der Zivilisation.
So lernen wir es als Kinder seit Generationen. Aktuelle Bildberichte aus den kriegsgebeutelten einstigen Paradiesen werfen die Frage auf, wohin die vermeintliche Fruchtbarkeit des Landes denn verschwunden ist und wie das geschehen konnte?
Die Babylonier sind gescheitert, ebenso die Griechen und die Römer, die Wikinger, jüngst die Bewohner der Sahel-Zone und viele andere mehr.
Sie alle konnten nicht verhindern, dass sie den Boden unter den Füßen verloren.
Bodenerosion erfolgt spektakulär und dramatisch, wie die „Dust-bowl“ in den USA in den 30er Jahren, Staubstürme, die Millionen Tonnen Erde des mittleren Westens über die Ostküste in den Atlantik verfrachteten. Oder ein kleinerer Staubsturm vor wenigen Jahren in Norddeutschland, der den Verkehr auf Autobahnen lahmlegte.
Wir erkennen sie auch an scheinbar schicksalhaften Muren und Erdrutschen.
Meist aber passiert Bodenerosion schleichend. Immer dann nämlich, wenn der Bodenverlust der Fläche ein wenig größer ist als die Bodenneubildung im selben Zeitraum. Generationen übergreifend wird das oft nicht wahrgenommen, doch irgendwann, einige Generationen später muss die Bewirtschaftung des seinerzeit fruchtbaren Landes aufgegeben werden, weil der Oberboden abgetragen oder bereits bis auf den Untergrund erodiert ist. So geschehen in weiten Teilen des Mittelmeerraumes und Nahen Ostens und vielen weiteren Teilen der Welt.
Wir sollten aus der Geschichte lernen
„Wir müssen die Erträge auf unseren Feldern massiv steigern, um die wachsende Weltbevölkerung ernähren zu können!“ Das ist die Rhetorik jener, die sich davon gute Geschäfte versprechen. Und es sind nicht selten dieselben Kräfte, die weltweit für Bodendegradation verantwortlich sind.
Der weltweite Bodenverlust, der durch kurzfristige Profiterwartung, Armut, korrupte Regime, Gier, Unbildung und Dummheit verursacht wird, ist atemberaubend, um nicht zu sagen apokalyptisch.
Die Frage, wie im Jahr xy soundsoviel Milliarden zusätzlicher Menschen ernährt werden sollen, stellt sich eigentlich überhaupt nicht, denn es wird nicht möglich sein, geht die Zerstörung unserer Lebensgrundlage auch nur annähernd im derzeitigen Tempo weiter. Wir werden mit Ertragssteigerungen die Verluste nicht wettmachen.
Seit 1945 (seit knapp 80 Jahren!!) sind weltweit 1,2 Milliarden Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche verlorengegangen, das entspricht einer Fläche von China und Indien zusammen (Montgomery, 2007).
„Investoren“ empfehlen auf einer Konferenz in London (siehe Dok-Film „Landraub“ von Kurt Langbein), in Afrika zu investieren, das sei der Ort, an dem noch Land verfügbar und die Profitaussichten rosig. Welch gefährliche Drohung! – gegenüber der ganzen Menschheit. Aber nur wenige empfinden und erkennen das als Drohung. Die Konditionierung und Abstumpfung der Wohlstandsgesellschaft bezüglich raubtierkapitalistischer Rhetorik scheint tadellos funktioniert zu haben.
Was geht uns das an?
Europa schwelgt seit langem im Überfluss, dessen Grundlage – auf neudeutsch – „outgesourced“ ist.
20 Mio Hektar Ackerland beanspruchen wir Europäer in Übersee.
Wie dann jemand auf die Idee kommen kann, mit den Erträgnissen jener Flächen in Europa Tiere zu mästen, um sie wieder um den halben Erdball zu verschicken. Das als Zukunftsmarkt zu propagieren, ist nur sehr schwer nachvollziehbar. Aber immer noch gesellschaftsfähig.
Mit diesem Wirtschaftsverhalten machen auch wir uns schuldig an der fortschreitenden Verkürzung des Astes, auf dem wir sitzen. Wir – das sind jene, die massenweise Hendl um 3,90 das Stück fressen, aber auch jene, die den Chinesen Schweinefleisch “Made in Austria” aufs Auge drücken wollen.
Wenn unsere Landwirtschaft in Schwierigkeiten gerät, weil der russische Markt aus politischen Gründen wegfällt, könnte das Problem nicht vorrangig in unserem System begründet sein, und weniger an der Geopolitik?
Auch Österreichs Mutter Erde erodiert
Erosion und Bodenverlust ist aber nicht nur eine Sache von fernen Landen. Auch im Osten Österreichs rücken hie und da Schneeräumgeräte aus, um Straßen und Wege befahrbar zu machen. Aber nicht nach Schneefällen – nach Bodenverfrachtungen!
Viele Hänge werden unter den Pflug genommen und unzureichend gegen Bodenabtrag geschützt. Der Biogasboom hat ein Gerangel um Maisflächen ausgelöst, der die Böden Jahr für Jahr mehr unter Druck bringt, und das in mehrfacher Hinsicht. Die Agrochemikalien tun das Ihrige.
Nur ein Millimeter Boden durch Wind oder Wasser abgetragen bedeutet auf ein Hektar gerechnet 15 Tonnen Feinbodenverlust. Auf ungeschütztem Boden reichen dafür ein paar Stunden scharfe Brise. Die Neubildung derselben Bodenschicht benötigt ca. 20 Jahre.
Mutter Erde ist im Begriff, unter unseren Füßen verloren zu gehen. Als Ausweg aus der Misere nennen jene, die sich mit der Problematik des weltweiten Bodenverlustes beschäftigen, nicht die grüne Gentechnik, nicht die Intensivierung der Techno-Agrikultur, nicht die Forcierung der großen Einheiten. Sie empfehlen biologische Bewirtschaftung und kleine Einheiten in Privatbesitz. Die Geschichte hat auch gelehrt, dass die kleinen Einheiten – die Familienbetriebe – Garant für die beste Obsorge für den Boden waren. Der rumänische Traktorfahrer wird beim besten Willen nicht den Bezug zur Scholle auf dem brandenburgischen oder niederösterreichischen 2000 Hektar Betrieb herstellen können, wie der Jungbauer auf seinem Erbhof in 12. Generation. Gesamtheitlich betrachtet sind kleine Einheiten die effizientesten.
Es fehlt also weder an Gründen noch an tiefem Sinn, Familienbetriebe weiterzuführen, kleine Einheiten zu erhalten, und der nachfolgenden Generation den Wert, Mutter Erde zu bewirtschaften, wieder näherzubringen.
Das gelingt nicht mit Vor-Jammern, sondern mit Vor-Leben. Im täglichen Tun und Handeln genauso wie im Unterlassen, im Vermitteln von Respekt und Ehrfurcht gegenüber der ständig mit Füßen getretenen Haut der Erde. Das kann auch gelingen durch die bewusstere Wahrnehmung des Geschenks der Jahr für Jahr heranwachsenden Kulturen. Dann nähern wir uns wieder der sprichwörtlichen bäuerlichen Kultur. Sie, die bäuerliche Kultur, hat die Zivilisationen prosperieren lassen.
Wo sie versagt hat, sind auch die größten Völker wieder untergegangen.
Letztlich kann nur sie den menschlichen Fortbestand sichern – indem sie kompromisslos den Boden unter unseren Füßen schützt und verteidigt.
Markus Danner